Systematik & Phylogenie
Systematik
Systematik der Syllidae
Die traditionelle Polychaetensystematik verteilt die Arten der Syllidae auf vier Unterfamilien:
- Syllinae
- Eusyllinae
- Exogoninae
- Autolytinae
Die früheste Unterteilung dieses Taxon (noch als Syllidea GRUBE, 1850) geht auf LANGERHANS (1879) zurück. Er unterschied:
- Syllideae ("Syllideae palpis non coalitis"),
- Exogoneae ("Syllideae palpis coalitis prominentibus, in pharynge recto brevi dente uno") und
- Autolyteae ("Syllideae palpis coalitis, ventralibus; pharyngis ostio dentato")
CZERNIAVSKY (1881) fügte zwei weitere Unterfamilien hinzu, die schon bald als obsolet betrachtet werden mussten:
Die Dujardinidae fußten nur auf Dujardinia rotifera QUATREFAGES, 1866, einer fragwürdigen Art, die wahrscheinlich zu Nerilla SCHMIDT, 1848 gestellt werden muss (WESTHEIDE 1990a) und keine Syllide ist. Die Ioideae wurden für Ioida macrophthalma JOHNSTON, 1840 und I. pontica CZERNIAVSKY, 1881 errichtet, von denen sich die erste als Sexualform der Syllide Typosyllis armillaris (O.F. MÜLLER, 1776) herausstellte (M’INTOSH 1908) und die zweite in dieser Arbeit als 'nomen dubium' verstanden wird.
MALAQUIN (1893) erkannte als wichtigstes Merkmal zur Auftrennung der Syllidae Vorhandensein oder Fehlen der parapodialen Ventralcirren: Arten ohne Ventralcirren wurden zu den (1) "Autolytés" gestellt, ganz offensichtlich eine klare Autapomorphie. Innerhalb der Arten mit Ventralcirren behielt MALAQUIN (1893) die "Exogonés" bei, unterteilte aber die restlichen Arten in "Syllidés" und "Eusyllidés". Ihre differentiellen diagnostischen Merkmale sind: (2) "Exogonés ... ont les palpes soudés sur toutes leur étendue", (3) "Eusyllidés ... ont leurs palpes soudés à la base seulement et divergents au sommet", (4) "Syllidés ... l’absence de soudure".
Nach MALAQUIN (1893) unterscheiden sich "Syllidés" und "Eusyllidés" auch in der Form ihrer Cirren: "des cirres nettement moniliformes, c’est-à-dire formés d’articles" wie bei Syllis und "des cirres cylindriques, presentant seulement des constrictions superficielles" wie bei Eusyllis.
Dieses bis heute benutzte Konzept wurde später RIOJA (1925) zugeschrieben, da er wahrscheinlich erstmalig die latinisierten Namen dieser Taxa benutzte, wenngleich er noch nicht einmal Diagnosen für diese Taxa angegeben hatte
Seit dieser Zeit sind die Syllidae durch die Neubeschreibung zahlreicher, z.T. sehr eng verwandter Arten zu einem der größten und unübersichtlichsten Taxa innerhalb der Polychaeten geworden (ca. 60 Gattungen, nach GARWOOD 1991). Dabei hat sich nicht nur herausgestellt, dass die "differences between the subfamilies ... especially between the Eusyllinae and Syllinae appear to be of more practical than scientific value" (FAUCHALD 1977a); tatsächlich wird auch das praktische taxonomische Arbeiten mit den Unterfamilien immer schwieriger. Künstlichkeit im System der Syllidae und mangelnde Kenntnisse über die Abgrenzung der Unterfamilien werden auch an anderer Stelle ersichtlich.
Zum Beispiel sind die Arten von Syllis SAVIGNY, 1812, Ehlersia QUATREFAGES, 1865, Eusyllis MALMGREN, 1867, Pionosyllis MALMGREN, 1867, Typosyllis LANGERHANS, 1879, Langerhansia CZERNIAVSKY, 1881 und Dentatisyllis PERKINS, 1981 aufgrund der subdistalen Position des Pharynxzahns und der übereinstimmenden Form ihrer Borsten so eng miteinander verwandt, dass man berechtigte Zweifel an der Berechtigung ihrer generischen Separation haben kann. Tatsächlich wurden verschiedene Arten zwischen diesen Gattungen hin und her geschoben. Pionosyllis- und Eusyllis-Arten werden aber nun wegen ihrer proximal miteinander verwachsenen Palpen und ungegliederten Cirren zu den Eusyllinae gerechnet, die Arten der anderen Taxa zu den Syllinae. Dabei werden zu den Syllinae auch Arten gestellt (z.B. Typosyllis nipponica IMAJIMA, 1966; T. glarearia WESTHEIDE, 1974), die aufgrund der proximalen Verwachsung der Palpen zu den Eusyllinae gestellt werden müssten, aufgrund der habituellen Ähnlichkeit jedoch klar zu Typosyllis gehören.
Die gegenwärtige Abgrenzung der Syllinae von den Eusyllinae anhand dieser morphologischen Merkmale muss als unbefriedigend bezeichnet werden. Eine Revision der Unterfamilien ist dringend erforderlich.
Systematik des "Syllis-Komplexes"
Mit über 400 beschriebenen Arten ist der "Syllis-Komplex" (gemeint sind die Gattungen Syllis, Typosyllis, Langerhansia und Haplosyllis) die größte Gruppe innerhalb der Syllidae. Allen Arten gemeinsam ist der Besitz eines einzelnen pharyngealen Zahns ("Bewaffnung"), worin sie sich von anderen Syllinae unterscheiden. Da sich die Tiere auch in ihrer übrigen Morphologie sehr ähneln, werden sie systematisch häufig zusammen behandelt.
Die Taxonomie innerhalb des "Syllis-Komplex" ist jedoch weitgehend unklar und von Autor zu Autor unterschiedlich. Derartige Widersprüche resultieren im wesentlichen aus der Tatsache, dass die Unterschiede, die von den Autoren herangezogen werden, um Arten voneinander abzugrenzen, erheblich variieren. Demgegenüber steht eine hohe Variabilität der Arten, die eine korrekte Beschreibung des Phänotyps nur selten erlaubt.
Aufgrund des Besitzes oder Fehlens bestimmter Borstentypen werden in der Regel vier Taxa unterschieden:
Zu Syllis SAVIGNY, 1812 werden jene Arten des "Syllis-Komplexes" gestellt, deren Borsten anterior und posterior zusammengesetzt (falcigere Borsten), in der mittleren Körperregion aber einfach sind.
Zu Typosyllis LANGERHANS, 1879 werden jene Arten des "Syllis-Komplexes" gestellt, deren Borsten in allen Segmenten zusammengesetzt sind und eher kurze Endglieder tragen (falcigere Borsten).
Zu Langerhansia CZERNIAVSKY, 1881 werden jene Arten des "Syllis-Komplexes" gestellt, deren Borsten in allen Segmenten zusammengesetzt sind mit sehr langen, schlanken Endgliedern (pseudospinigere Borsten), aber auch mit kürzeren Endgliedern (falcigere Borsten).
Zu Haplosyllis LANGERHANS, 1879 werden jene Arten des "Syllis-Komplexes" gestellt, deren Borsten in allen Segmenten ausschließlich einfach und tomahawk-förmig gestaltet sind.
Dentatisyllis PERKINS, 1981 ähnelt den Taxa des "Syllis-Komplexes" im Besitz eines einzelnen Zahns anterior im Pharynxtubus. Im Gegensatz zu Syllis, Typosyllis, Langerhansia und Haplosyllis ist jedoch bei Dentatisyllis der Rand der Pharynxöffnung gezackt, eine Struktur, die innerhalb der Syllidae nur noch bei Eusyllis MALMGREN, 1867 (Eusyllinae) auftritt und sich dort wahrscheinlich konvergent entwickelt hat.
Phylogenie
Phylogenie der Syllidae
Die Frage, welche Unterfamilie der Syllidae wohl am ehesten dem Grundmuster der Syllidae entspricht, wurde in jüngster Zeit wieder zunehmend diskutiert (SAN MARTÍN 1984; GARWOOD 1991). Wahrscheinlich unstreitig dabei ist, dass sich innerhalb der Syllidae eine "evolutive Reihe" basierend auf morphologischen und reproduktiven Modifikationen aufstellen lässt, an deren einem Ende die größeren, epibenthischen Formen (Syllinae, Eusyllinae) mit zahlreichen Segmenten und langen Körperanhängen stehen, an dem anderen Ende die kleinen, interstitiellen Exogoninae mit weniger zahlreichen Segmenten, sehr kurzen Anhängen und miteinander verwachsenen Palpen. Unklar ist jedoch die Entwicklungsrichtung dieser "evolutiven Reihe".
Die Autolytinae sind aufgrund des Fehlens von Ventralcirren in jedem Fall als abgeleitet gegenüber der Stammart der Syllidae aufzufassen, da sowohl die Taxa der übrigen Unterfamilien der Syllidae als auch die Taxa der als am nächsten verwandt anzunehmenden Familien innerhalb der Phyllodocida (sensu ROUSE & FAUCHALD 1997) Ventralcirren besitzen.
Hinsichtlich der Entwicklungsrichtung sind somit folgende zwei Hypothesen denkbar:
- Die Stammart der Syllidae lebte im Interstitial. Morphologisch entsprechen ihr am ehesten die Exogoninae. Die Syllinae, Eusyllinae und Autolytinae sind sekundär zu einer epibenthischen Lebensweise übergegangen.
- Die Stammart der Syllidae lebte epibenthisch. Morphologisch entsprechen ihr am ehesten die Syllinae und Eusyllinae. Die Autolytinae und vor allem die Exogoninae repräsentieren stärker abgeleitete Formen.
Hypothese 1, nach der sich die epibenthische Lebensweise der meisten Sylliden von interstitiellen Formen abgeleitet hat, unterstellt, dass sich der zahlreich segmentierte Körper der Syllinae und Eusyllinae mit langen Körperanhängen und voneinander getrennten Palpen aus kleineren, im Interstitium lebenden Sylliden, deren Palpen miteinander verwachsen waren, sekundär entwickelt hat (Reversion). Hinweise, die diese Hypothese stützen könnten, sind nicht bekannt.
Naheliegender ist Hypothese 2, nach der die Stammart der Syllidae sowohl den zahlreich segmentierten Körper mit langen Körperanhängen und getrennten Palpen, die Lebensweise und das damit verbundene Habitat (Epibenthos), aber auch die epigame, direkte Reproduktion der Phyllodocida übernommen hat. In dieser Hinsicht repräsentieren die epigamen Eusyllinae eine ursprünglichere Organisationsstufe als die schizogamen Syllinae, deren Art der Reproduktion einmalig innerhalb der Polychaeten ist.
Im folgenden soll ein System der Syllidae präsentiert werden, welches auf diesen genannten Überlegungen basiert, dass innerhalb der Syllidae epibenthisch lebende Formen ursprünglich sind, und dass eine interstitielle Lebensweise als stark abgeleitet zu interpretieren ist. Entgegen der bisherigen Systematik soll das hier präsentierte System auch die Frage nach apomorphen und plesiomorphen Reproduktionszuständen beantworten.
Der rechts dargestellte Stammbaum der Syllidae wurde ohne Zuhilfenahme von Computerprogrammen erstellt. Entgegen der ansonsten üblichen Differenzierung von vier Unterfamilien zeigt der Stammbaum eine Sechsgliederung der Syllidae: "Eusyllinae", Autolytinae, Syllinae, Trypanosyllis, Exogoninae sowie eine noch namenlose Gruppe, die die Gattungen Syllides ØRSTED, 1845, Streptosyllis WEBSTER & BENEDICT, 1884, Astreptosyllis KUDENOV & DORSEY, 1982 und Streptospinigera KUDENOV, 1983 umfasst. Mit Ausnahme der "Eusyllinae" sind alle Taxa Monophyla und durch entsprechende Autapomorphien belegt.
Die "Eusyllinae" besitzen durch ihre epigame Reproduktion, ihre epibenthische Lebensweise und ihren Habitus ein Muster, das dem der anderen Phyllodocida (z.B. Nereidae) sehr ähnelt. Es ist daher anzunehmen, dass es ursprünglich für die Syllidae ist, und dass die "Eusyllinae" der Stammart der Syllidae sehr nahe stehen. Die Monophylie der "Eusyllinae" ist jedoch zweifelhaft, da das Taxon ausschließlich durch diese plesiomorphen Merkmalsausprägungen charakterisiert ist. So geben die ungegliederten, allenfalls "runzeligen" Antennen, Peristomial-, Dorsal- und Analcirren hinsichtlich ihrer Gestalt sicherlich die plesiomorphe Ausprägung innerhalb der Syllidae wieder.
Bei den Autolytinae, Syllinae, Trypanosyllis und den Exogoninae sitzen die Dorsalcirren auf Cirrophoren, eine Struktur, die den "Eusyllinae" fehlt, die sich vermutlich erst in der Stammart der Autolytinae, Syllinae, Trypanosyllis und Exogoninae entwickelt hat und diese Gruppe als Monophylum begründet.
Die Exogoninae sind durch zahlreiche Autapomorphien gekennzeichnet: die Reduktion der Körpergröße, die über ihre gesamte Länge miteinander verwachsenen Palpen, die eine wühlende Fortbewegung im Interstitium erlauben, die kurzen, eingliedrigen Antennen, Peristomial-, Dorsal- und Analcirren, das Fehlen segmentaler Cilien im Larvalstadium, ein charakteristisches Brutpflegeverhalten, bei dem sich die Embryonen oder die Eier am Muttertier entwickeln sowie das daraus resultierende Fehlen der Trochophora-Larve (GARWOOD 1991). Diese Autapomorphien stehen in direktem Zusammenhang mit der interstitiellen Lebensweise dieser Organismen.
Das Fehlen von Ventralcirren ist eine Autapomorphie der Autolytinae, ein Merkmal, das diese Gruppe eindeutig als Monophylum auszeichnet. Die Autolytinae bilden am praepygidialen Segment einzelne oder in Ketten mehrere Stolonen.
Lange gegliederte Antennen, Peristomial-, Dorsal- und Analcirren besitzen nur Trypanosyllis und die Syllinae. Offensichtlich war dieses der Grund, Trypanosyllis bis heute in die Unterfamilie Syllinae zu stellen (LANGERHANS 1879). Trypanosyllis und die Syllinae weichen jedoch nicht nur in ihrer sonstigen Morphologie sehr voneinander ab (der Körper von Trypanosyllis ist dorsoventral abgeflacht, der der Syllinae subzylindrisch; Trypanosyllis besitzt einen Trepan, die Vertreter der Syllinae einen einzelnen pharyngealen Zahn). Auch in der Reproduktion lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen: bei Trypanosyllis entstehen die Stolonen durch Neubildung (wie bei den Autolytinae), bei den Syllinae durch Umbildung bereits vorhandener, atoker Segmente; innerhalb eines Regenerationszyklus bildet die Amme bei Trypanosyllis in der Regel mehrere Stolonen simultan in Büscheln an mehreren hinteren Segmenten, die der Syllinae nur einzelne Stolonen und ausschließlich am praepygidialen Segment.
Somit lässt sich Trypanosyllis weder eindeutig den Syllinae, noch den Autolytinae zuordnen – vielmehr nimmt das Taxon eine intermediäre Stellung zwischen den Autolytinae und den Syllinae ein. Da die Neubildung der Stolonen bei Trypanosyllis sehr an die "gemmiparity" der Autolytinae erinnert, erscheint es am wahrscheinlichsten, dass Trypanosyllis die Stolonenbildung von der Stammart der schizogamen Syllidae übernommen und weiterentwickelt hat. Der Besitz von gegliederten Antennen, Peristomial-, Dorsal- und Analcirren bei Trypanosyllis und den Syllidae spricht dafür, dass sich die Gliederung dieser Körperanhänge in der Stammart dieser beiden Taxa entwickelt hat, deren Stolonen sich noch wie bei denen der Autolytinae durch Bildung neuer Segmente herleiteten. Am wahrscheinlichsten erscheint es daher, Trypanosyllis als das Adelphotaxon der Syllinae aufzufassen, deren gemeinsame Stammart wiederum das Adelphotaxon der Autolytinae ist.
Da Morphologie und Reproduktion der Syllinae und Trypanosyllis sehr voneinander abweichen und diese Unterschiede bei taxonomischer Zuordnung von Trypanosyllis zu den Syllinae Gefahr laufen, nicht wahrgenommen zu werden, ist zu überlegen, ob Trypanosyllis nicht besser in eine eigene Unterfamilie "Trypanosyllinae" gestellt werden sollte. Autapomorphie dieser "Trypanosyllinae" wäre dann der Besitz eines dorsoventral abgeflachten Körpers, möglicherweise auch schon der Besitz eines Trepans. Die Errichtung und Begründung eines solchen Taxon soll jedoch nicht Kontext dieser Arbeit sein.
Syllides, Streptosyllis, Astreptosyllis und Streptospinigera zeigen folgenden Phänotyp: Die Individuen sind meist von geringer Größe; die Antennen und Peristomialcirren sind ungegliedert, ebenso ihre vordersten Dorsalcirren; die der mittleren Körperregion zeigen hingegen eine deutliche Gliederung. Der Pharynx ist unbewaffnet. Die Reproduktion ist epigam.
Die Diagnosen der Unterfamilien "Eusyllinae", Exogoninae, Syllinae und Autolytinae erlauben es nicht, Syllides, Streptosyllis, Astreptosyllis und Streptospinigera einer dieser vier Unterfamilien zuzuordnen. Die epigame Reproduktion spricht für eine phylogenetisch basale Stellung innerhalb der Syllidae. Im Fehlen einer pharyngealen Bewaffnung sowie dem Besitz kleiner papillenförmiger Anhänge (Palpostylen?) in zahlreichen Arten dieser Gattungen (z.B. Syllides caribica LICHER, 1996; Streptosyllis baolingi DING & WESTHEIDE, 1994) ähneln sie den Pilargidae (siehe auch LICHER & WESTHEIDE 1994) und zeigen daher mehr plesiomorphe Merkmale als die "Eusyllinae".
Dieses erlaubt den phylogenetischen Schluss, dass Syllides, Streptosyllis, Astreptosyllis und Streptospinigera der Stammart der Syllidae am nahesten stehen. Sie lassen sich auf eine nur ihnen gemeinsame Stammart zurückführen, deren Autapomorphien eine Gliederung der Dorsalcirren in der Körpermitte sowie eine Reduktion der Körpergröße sind. Das Adelphotaxon dieser Gruppe ist die Stammart aller übrigen Sylliden, die sich durch den Besitz eingliedriger (anstelle zweigliedriger) Palpen sowie einer pharyngealen Bewaffnung auszeichnet.
Denkbar ist auch, dass der Besitz papillenförmiger Anhänge an den Palpen von Syllides, Streptosyllis, Astreptosyllis und Streptospinigera eine Synapomorphie dieser Taxa ist, und dass bereits die Stammart aller Sylliden eingliedrige Palpen besessen hat. Eine solche Annahme spräche nicht gegen den hier vorgestellten Stammbaum der Syllidae, da die "Eusyllinae", Autolytinae, Syllinae, Exogoninae und Trypanosyllis auch durch den Besitz einer pharyngealen Bewaffnung – vermutlich in Form eines einzelnen, middorsalen Zahns anterior im Pharynxtubus – auf nur eine ihnen gemeinsame Stammart zurückzuführen sind. Die Position dieses Zahns weiter posterior im Pharynx einiger Syllidentaxa (z.B. Opisthosyllis LANGERHANS, 1879 (Syllinae); Opisthodonta LANGERHANS, 1879 (Eusyllinae); Psammosyllis WESTHEIDE, 1990 (Exogoninae)) bzw. das Vorhandensein einer anderen Bewaffnungsart (Trepan in Trypanosyllis CLAPERÈDE, 1864 (Syllinae)) müssen als abgeleitet interpretiert werden. Auch das Fehlen eines solchen Zahns in den Taxa Branchiosyllis EHLERS, 1887 (Syllinae); Phyllosyllis EHLERS, 1897 (Autolytinae); Fauvelia GRAVIER, 1900 (Eusyllinae); Exogonoides DAY, 1963 (Exogoninae) sind apomorphe Ausprägungen, die innerhalb der "Eusyllinae", Autolytinae, Syllinae und Exogoninae wahrscheinlich konvergent entstanden sind.
Phylogenie des Syllis-Komplexes
Im folgenden soll geklärt werden, ob es sich bei Syllis, Typosyllis, Langerhansia und Haplosyllis um Monophyla, d.h. um geschlossene Abstammungsgemeinschaften, handelt:
Bei Syllis sind die Endglieder der zusammengesetzten Borsten ausgesprochen kurz und sichelförmig, meist unidentat oder subbidentat. Postproventrikulär sind die Borstenendglieder kürzer als in den vordersten Segmenten, und der "Spalt" zwischen Schaft und Endglied ist geringer als anterior. Zur Körpermitte hin fusionieren der Borstenschaft und das Endglied miteinander – erst einzelner, dann mehrerer, schließlich aller Borsten innerhalb eines Parapodiums – wobei das Endglied immer kleiner wird, so dass die Borsten eine Y-förmige Gestalt bekommen. Zum Hinterende hin ist die Verschmelzung von Borstenschaft und Endglied wieder rückläufig, so dass die Borsten posterior wieder ausschließlich zusammengesetzt sind.
Evolutionsbiologisch lassen sich die Y-förmigen Borsten durch Fusion von Borstenschaft und Endglied einer ursprünglich zusammengesetzten Borste erklären. Die (noch) zusammengesetzten Borsten anterior und posterior bei Syllis zeigen danach eine stärker plesiomorphe Merkmalsausprägung. Die Veränderung der Borstengestalt von anterior zur Körpermitte hin spiegelt die phylogenetische Entwicklung dieser Y-förmigen Borsten wider.
Im Rasterelektronenmikroskop (REM) sind bei Syllis gracilis in der Senke dieser Y-förmigen Borsten winzige Zähnchen und ein subdistaler etwas größerer Zahn erkennbar. Die Ähnlichkeit zu Endgliedern zusammengesetzter Borsten spricht für die Homologie dieser Strukturen in beiden Borstentypen und dafür, dass es sich bei den Y-förmigen Syllis-Borsten tatsächlich um abgeleitete ursprünglich zusammengesetzte Borsten handelt.
Phylogenetische Konsequenz:
Innerhalb des "Syllis-Komplexes" sind zusammengesetzte Borsten als plesiomorph anzunehmen, einfache Borsten hingegen als apomorph. Das Taxon Syllis könnte ein Monophylum sein - Autapomorphie wäre der Besitz einfacher, Y-förmiger Borsten in der mittleren Körperregion.
Haplosyllis besitzt tomahawkförmige, ausschließlich einfache Borsten, die distal unidentat, bidentat oder tridentat und subdistal stark verbreitert sind. Bei Haplosyllis spongiphila (VERRILL, 1885) comb. nov. sind diese Borsten subdistal weniger stark verbreitert, wodurch sich diese Art von allen anderen Arten dieser Gattung unterscheidet. Etwas weiter distal weisen diese Borsten einen kleinen Wulst auf, der ringförmig um die Borste verläuft und besonders deutlich an der Außenkurve in Lateralsicht zu erkennen ist. An der Borsteninnenseite befinden sich winzige Zähnchen.
Phylogenetisch ist für diese tomahawkförmigen "Haplosyllis-Borsten" folgende plausible Erklärung denkbar, nämlich, dass sie sich – konvergent zu Syllis und anderen Taxa der Syllinae (z.B. Trypanosyllis asterobia OKADA, 1933) – durch Fusion des Borstenschaftes mit dem Borstenendglied aus einer ehemals zusammengesetzten Borste abgeleitet haben. Dabei repräsentieren die Borsten von H. spongiphila durch ihr weniger stark tomahawkförmiges Aussehen einen Übergangszustand. Der "Wulst" in den H. spongiphila-Borsten muss als "Verschmelzungslinie" interpretiert werden; die winzigen Zähnchen an der Innenseite dieser Borsten sind Rudimente eines ursprünglich subdistal mit Zähnchen oder Stacheln besetzten Borstenschaftes (nicht Endglied). Die H. spongiphila-Borsten sind komplexer und stärker plesiomorph als die Borsten anderer Haplosyllis-Arten. H. spongiphila könnte daher das Adelphotaxon aller übrigen Haplosyllis-Arten sein.
Phylogenetische Konsequenz:
Die einfachen Haplosyllis-Borsten lassen sich von ursprünglich zusammengesetzten Borsten ableiten. Haplosyllis ist ein Monophylum - Autapomorphie ist der Besitz tomahawkförmiger Borsten.
Die Borsten von Typosyllis und Langerhansia sind ausschließlich zusammengesetzt, d.h. falciger oder pseudospiniger.
Hinsichtlich der taxonomischen Abgrenzung von Typosyllis und Langerhansia existieren verschiedene Interpretationen. Je nach Autor werden zu Langerhansia jene Arten gestellt, deren Endglieder in den dorsalen Borsten (a) spiniger, (b) pseudospiniger oder (c) 4- bzw. (d) 5-mal so lang sind wie jene in den ventralen Borsten innerhalb desselben Parapodiums. Entsprechend werden Arten mit ausschließlich (a/b) falcigeren zusammengesetzten Borsten oder einem Endgliedlängenverhältnis von weniger als (c) 4 bzw. (d) 5 zu Typosyllis gestellt.
Diese Diagnosen der Taxa Typosyllis und Langerhansia zeigen deutlich, dass sich ihre Abgrenzung auf die praktische, bestimmungstechnische Ebene reduziert. Jedoch muss selbst die Praktikabilität in Frage gestellt werden: So weist zum Beispiel Typosyllis alternata (MOORE, 1908) in den vorderen Segmenten ein Endgliedlängenverhältnis von 4, in der Körpermitte von 5-6 und posterior von ca. 3 auf; ähnlich ist es bei T. hyllebergi sp. nov. und T. mauretanica sp. nov. Die taxonomische Zuordnung dieser Arten ist nach den Auffassungen (c) und (d) unklar, da die Körperregion des zu ermittelnden Endgliedlängenverhältnisses nicht spezifiziert ist.
Die Klärung der Monophylie von Typosyllis ist damit schwierig, da die gattungsdiagnostischen Merkmale von Typosyllis im Gegensatz zu Syllis, Haplosyllis und anderen Taxa der Syllinae mit dem Bauplan der Syllidae übereinstimmen und daher plesiomorph sind.
Eine Autapomorphie von Typosyllis, die eine Monophylie dieses Taxons begründen würde, könnte der Besitz zusammengesetzter, pseudospinigerer Borsten sein. Der Besitz ausschließlich falcigerer Borsten bei den übrigen Typosyllis-Arten müsste dann als sekundäre Reduktion interpretiert werden.
Für diese Annahme könnte sprechen, dass pseudospinigere Borsten in nahezu allen anderen Gattungen der Syllinae fehlen (Ausnahme: vier Arten in Dentatisyllis, siehe DING, LICHER & WESTHEIDE 1998).
Phylogenetische Konsequenz:
"Langerhansia" ist ein Para- oder Polyphylum. Die als "Langerhansia" verstandenen Arten müssen in die Gattung Typosyllis gestellt werden. Die Monophylie von Typosyllis ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert. Autapomorphie von Typosyllis könnte der Besitz pseudospinigerer Borsten sein, die in einigen Typosyllis-Arten sekundär reduziert wurden.
Die bei Dentatisyllis (D. junoyi LÓPEZ GARCÍA & SAN MARTÍN, 1992, D. kiaorensis HARTMANN-SCHRÖDER, 1992, D. mangalis RUSSELL, 1995 und D. mortoni DING, LICHER & WESTHEIDE 1998) vorkommenden pseudospinigeren Borsten haben sich entsprechend dieser Vorstellung konvergent zu Typosyllis – möglicherweise erst innerhalb der Gattung – entwickelt. Die phylogenetische Position von Dentatisyllis innerhalb der Syllinae ist derzeitig unklar. Der Habitus, die Gestalt der Antennen, Dorsalcirren und Borsten sowie der Besitz eines einzelnen pharyngealen Zahns anterior im Pharynxtubus sprechen für eine enge Verwandtschaft mit dem "Syllis-Komplex".
Ausgehend von den Hypothesen, dass es sich bei Syllis, Haplosyllis und Typosyllis um Monophyla handelt, und dass innerhalb des "Syllis-Komplexes" zusammengesetzte Borsten mehrfach konvergent zugunsten einfacher Borsten aufgegeben wurden, ist Typosyllis als das Taxon mit den meisten plesiomorphen Merkmalen zu beurteilen, wohingegen Syllis und Haplosyllis mehr apomorphe Merkmale zeigen. Der Besitz ausschließlich einfacher Borsten bei Haplosyllis kennzeichnen dieses Taxon als am weitesten abgeleitet gegenüber Syllis und Typosyllis, die noch zusammengesetzte Borsten haben.
Die Frage, ob Syllis das Adelphotaxon von Typosyllis oder von Haplosyllis ist, lässt sich nicht sicher beantworten, da Synapomorphien weder für ein Schwestergruppenverhältnis Syllis-Typosyllis noch für Syllis-Haplosyllis bekannt sind. Der Gedanke liegt nahe, die einfachen Borsten von Syllis und Haplosyllis auf eine nur ihnen gemeinsame Stammart zurückzuführen. Hiergegen spricht jedoch, dass die einfachen Borsten dieser beiden Taxa in ihrer Morphologie voneinander grundsätzlich verschieden sind: In den einfachen Syllis-Borsten hat sich das Borstenendglied verkleinert und ist schließlich mit dem Schaft verschmolzen. In den Haplosyllis-Borsten hat sich der Borstenschaft subdistal verbreitert, ist ebenfalls mit dem Endglied verschmolzen, das in seiner Größe sich jedoch nicht wesentlich verkleinerte.
Die Vorstellung, dass sich Haplosyllis-Borsten von Syllis-Borsten abgeleitet haben, muss aber auch aus folgendem Grund als weniger wahrscheinlich beurteilt werden: Haplosyllis-Borsten sind in der Regel distal bidentat (manchmal auch tridentat); derartige Zähne fehlen aber den Syllis-Borsten. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die in diesem Punkt komplexeren Haplosyllis-Borsten aus einer viel einfacher gestalteten Borste hervorgegangen sind, wo doch innerhalb des Syllis-Komplexes der Weg in Richtung Borstenvereinfachung zu führen scheint.